Noch bevor der Frühstückstisch überhaupt in Sicht war, hatte ich mir ausgemalt, wie dieser Morgen laufen sollte. Endlich ein Moment der Ruhe, des Ankommens, des Zusammenseins – zu fünft. Die Vorstellung: Wir lachen, essen, genießen. Die Realität? Naja, sagen wir mal, sie hatte andere Pläne.
Der Plan war gut – theoretisch
Als unser drittes Kind zur Welt kam, dachten wir: Jetzt sind wir komplett. Zwei Eltern, drei Kinder – passt. Und wir wollten diesen neuen Alltag nicht nur irgendwie überleben, sondern auch ein bisschen zelebrieren. Also entschieden wir uns, ein kleines Ritual einzuführen: Sonntagsfrühstück. Zusammen. Ohne Hektik. Mit allem Drum und Dran.
Klingt idyllisch, oder? War’s aber nicht.
Denn was in meinem Kopf nach Instagram-tauglichem Familienidyll aussah – Kindersitze im Sonnenlicht, Papa liest Zeitung, Mama schenkt O-Saft nach, die Kinder lachen und schmieren Butter auf Brötchen – wurde in der Realität zu einem emotionalen Frühstückskrimi mit mehreren Handlungssträngen.
Und ja, vielleicht hätten wir vorher einfach realistischer planen müssen. Aber hey – man wächst ja mit seinen Aufgaben. Oder stolpert zumindest drüber.
Die Hauptdarsteller: eine übermüdete Mutter, ein Vater mit Ambitionen und drei Kinder mit ganz eigenen Plänen
Ich war zu dem Zeitpunkt gerade frisch in der dritten Stillrunde angekommen. Mein Kopf ein Nebel aus Schlafmangel und Milcheinschuss. Mein Mann hingegen hatte sich fest vorgenommen, aus diesem Frühstück etwas Besonderes zu machen. Frische Brötchen, Rührei, Obstsalat – er war früh auf den Beinen. Ich hörte ihn unten klappern und dachte noch: Ach, wie schön.
Dann der erste Schrei durchs Babyphone. Und dann der zweite – vom großen Bruder, der „JETZT SCHON HUNGER!!!“ hatte. Und kurz danach ein empörtes „Mamaaaaa, sie hat MEINEN Becher!!“ von der Mittleren.
Ich stand auf, wickelte das Baby, trug es auf dem Arm runter, stolperte über ein herumliegendes Puzzle-Teil, landete halb im Wäschestapel und betrat dann die Küche. Mein Mann wirbelte, der Tisch war schön gedeckt – und die Kinder bereits auf Betriebstemperatur.
Zwischendurch fiel mir auf: Ich hatte noch nicht mal Socken an. Dafür aber Babyspucke auf der Schulter.
Drei Kinder, fünf Meinungen – und ein Tisch, der nie reicht
Kind 1 wollte Cornflakes. Aber nur die mit Schoko. Kind 2 hasst Cornflakes und forderte „Pancakes wie bei Oma“. Kind 3 – unser Baby – war mit allem unzufrieden, außer damit, dauerhaft auf meinem Arm zu kleben. Und mein Mann versuchte, mit sanfter Stimme und stoischer Ruhe einen Obstsalat zu retten, der längst von kleinen Kinderhänden geplündert wurde.
Zwischendurch kippte der O-Saft. Die Butter war hart. Die Brötchen verschwanden unter einem Kampf um die letzte Erdbeermarmelade. Und irgendwo dazwischen versuchte ich, zumindest einen Schluck Kaffee zu trinken – kalt, versteht sich.
Der Große wollte plötzlich doch Müsli. Aber nicht aus der blauen Schüssel, sondern aus der mit den Sternchen. Die Mittlere hatte in der Zwischenzeit angefangen, Erdbeermarmelade mit dem Finger zu essen. Und das Baby hatte es geschafft, sich durch seine Windel zu entleeren. Auf meinen Schoß.
Ach ja, und satt wurde natürlich keiner.
Wenn alle gleichzeitig was wollen – und keiner das bekommt, was er braucht
Ich weiß nicht, wie viele Eltern das kennen, aber: Es gibt diese Momente, da versuchst du, es allen recht zu machen – und verlierst dich selbst komplett dabei. Ich wollte dem Baby Nähe geben, den Großen Aufmerksamkeit, der Mittleren Gerechtigkeit und meinem Mann… na ja, auch irgendwas, wahrscheinlich eine funktionierende Ehe.
Was ich bekam? Einen Marmeladenfleck auf dem Pulli, einen kalten Kaffee und ein schlechtes Gewissen, weil ich beim vierten „Mamaaaa“ kurz die Augen verdreht habe.
Es war diese typische Familien-Dynamik, in der man denkt: Wer hat eigentlich die Kontrolle? Antwort: niemand. Und gleichzeitig alle. Und das macht es so herrlich chaotisch.
Frühstück mit Soundtrack – powered by Babygebrüll
Während mein Mann versuchte, Brötchen zu retten, die längst eingespeichelt waren, und die Große zum dritten Mal ihr Getränk verschüttete, spielte sich auf meinem Schoß ein ganz eigenes Drama ab. Das Baby, dem der Trubel zu viel war, schrie wie ein kleines Nebelhorn. Ich versuchte, zu stillen – aber mit einer Hand Rührei essen und gleichzeitig trösten? Schwierig.
Die Milch tropfte, das Kind schrie, mein Magen knurrte – und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wir auf eine absurde Weise verbunden waren. Inmitten des Chaos entstand so etwas wie… Zugehörigkeit. Auch wenn sie sich eher nach Schlachtfeld anfühlte als nach Sonntagmorgen-Romantik.
Am Ende saß ich also auf der Küchenbank, das Baby halb unter der Brust, die Mittlere schmollend auf meinem Schoß, der Große beleidigt wegen irgendwas und mein Mann mit leerem Blick und einem einsamen Brötchen in der Hand.
Der große Moment der Erkenntnis: Harmonie lässt sich nicht planen
Es gibt diese Familienmomente, da kommt plötzlich diese Erkenntnis um die Ecke, in einem Moment, in dem du sie so gar nicht gebrauchen kannst. Unser erster gemeinsamer Frühstücksversuch zu fünft war genau so ein Moment. Denn während ich da saß – müde, klebrig, leicht überfordert – wurde mir klar: Vielleicht geht es gar nicht darum, perfekte Familienrituale zu erschaffen.
Vielleicht geht’s eher darum, diese chaotischen, unperfekten Momente als genau das zu sehen, was sie sind: Echtes Leben. Zusammenleben. Liebe, die auch mal klebt. Im wörtlichen Sinne.
Und ich sage dir: Diese Einsicht kam nicht mit Engelschor und Glitzer. Sie kam mit Müsliresten im Haar und einem müden Blick in den Spiegel.
Die große Kunst: loslassen
Am Ende dieses Morgens waren wir alle irgendwie unzufrieden. Kein Frühstück wie aus dem Katalog. Kein glückliches Gruppenfoto. Aber wir hatten einen Moment geteilt. Einen echten. Und rückblickend war der gar nicht so schlecht.
Denn wir haben daraus gelernt. Dass Rituale wachsen dürfen. Dass es okay ist, wenn der erste Versuch daneben geht. Dass „gemeinsam frühstücken“ nicht bedeutet, dass alle gleichzeitig essen oder alle glücklich sind – sondern dass wir gemeinsam am Tisch sitzen, in all unserem Chaos.
Wir haben gelernt, dass Humor hilft. Dass eine zweite Kanne Kaffee manchmal Wunder wirkt. Und dass es vollkommen okay ist, wenn das Baby beim nächsten Mal einfach schon vorher gefüttert wird – auf dem Schoß, mit der linken Hand, während man mit der rechten einen Löffel Apfelmus auf dem Teppich beseitigt.
Heute, ein paar Monate später, sieht unser Sonntagsfrühstück immer noch wild aus. Aber anders wild. Eher wie ein eingespieltes Improvisationstheater. Jeder hat seinen Platz, jeder seine Aufgaben. Und das Baby? Das sitzt jetzt im Hochstuhl und klatscht begeistert, wenn jemand niest.
Und manchmal – ganz selten – essen wir sogar gleichzeitig.
Fazit: Kein voller Magen, aber ein volles Herz
Unser erstes Frühstück zu fünft war alles – nur nicht sättigend. Aber es hat uns gezeigt, was Familie wirklich bedeutet. Nicht Perfektion, sondern Präsenz. Nicht Harmonie, sondern Herz. Und manchmal auch einfach nur: durchhalten, durchatmen, drüber lachen.
Und wenn ich heute an dieses Frühstück zurückdenke, dann spüre ich beides: Erschöpfung – und tiefe Zuneigung. Für diese wilde, laute, unplanbare Truppe, die wir Familie nennen.