Es gibt diese Tage, da denkst du, du kannst alles schaffen. So einer war es, als wir das erste Mal mit unserem Kleinkind im Homeoffice gestartet sind. Optimismus pur. Wir hatten Pläne, Routinen, sogar einen kindgerechten Zeitplan mit bunten Symbolen an den Kühlschrank gepinnt. Aber was wir nicht hatten: Eine Ahnung, wie wenig Plan ein Kleinkind interessiert, wenn es um die Wahl zwischen Buntstiften und deinem Laptop geht. Rückblickend war das kein Arbeitstag – es war ein Überlebenstraining mit Pausen fürs Kuscheln.
Der erste Morgen: Kaffee, Chaos, Kind
Der Wecker klingelt, ich bin erstaunlich wach – vielleicht lag’s an der Vorfreude auf unser erstes richtiges „Team Eltern im Homeoffice mit Kind“-Projekt. Mein Partner deckt den Frühstückstisch, ich koche Kaffee. Unser Sohn (zweieinhalb, laut, neugierig, mit starkem Willen) sitzt im Schlafanzug in seinem Hochstuhl und erklärt seinem Plüschhasen lautstark die Welt. Noch alles im Rahmen.
Wir frühstücken. Reden über den Tagesplan. Mein Partner startet um neun mit dem ersten Call. Ich übernehme die erste Kleinkind-Schicht. Danach wechseln wir. Klingt fair. Ist es auch – theoretisch. Denn der Kleine hat da ganz eigene Vorstellungen: Zum Beispiel, dass man sein Brötchen lieber in Apfelsaft tunkt oder dass man in der Küche prima Roller fahren kann, während Mama telefonieren will.
Die ersten zwei Stunden: Konzentration? Fehlanzeige.
Ich versuche, ein paar E-Mails zu schreiben, während mein Sohn direkt neben mir mit Bauklötzen ein Hochhaus errichtet – und es in regelmäßigen Abständen lautstark wieder zum Einsturz bringt. Jedes Mal erschrecke ich mich, jedes Mal verliere ich den Faden. Nach 20 Minuten liegt sein kompletter Turm auf meiner Tastatur. Und mein Kaffee – na ja, der hat inzwischen ein Bad in Joghurt genommen.
Als ich mich gerade wieder gesammelt habe, möchte er „ganz kurz“ mit meiner Computermaus spielen. Ich sage nein. Er ist empört. Ein klassischer Wutanfall bahnt sich an. Ich schalte auf Ablenkungsmodus, springe auf, baue eine Duplo-Bahn. Es klappt – für sechs Minuten. Danach will er auf meinen Schoß. Und da bleibt er – mit einem klebrigen Apfel in der einen Hand und einem Lied auf den Lippen. Die E-Mail? Muss warten.
Kleinkinderlogik vs. Arbeitsalltag
Irgendwann beschließe ich, den Laptop auf die Küchenarbeitsplatte zu stellen, weit weg von kleinen Händen. Ich stehe also, tippe E-Mails im Stehen, während mein Kind unter mir Pirouetten dreht, lautstark singt und regelmäßig fragt, ob ich „schon fertig“ sei. Nein. Bin ich nicht. Aber ich antworte trotzdem jedes Mal.
Aber was soll’s – er ist süß dabei. Und es ist ein bisschen wie Multitasking auf einem wackeligen Einrad: witzig, anstrengend und absolut unplanbar.
Dann will er basteln. Also sitzen wir gemeinsam am Tisch. Ich mit Laptop, er mit Schere. In Sekunden liegt Konfetti überall. Und ich frage mich, ob das jetzt eher wie ein Scheitern aussieht oder wie eine kreative Form der Kinderbetreuung. Als ich später im Call gefragt werde, ob bei uns Karneval ist, muss ich lachen – und lasse den Filter mit den bunten Papierschnipseln einfach an.
Der Partnerwechsel: Jetzt bist du dran!
Punkt elf übernehme ich das Kind, mein Partner schnappt sich die Kaffeetasse (den Rest, den das Kleinkind nicht schon verschüttet hat) und verschwindet ins Schlafzimmer, das wir kurzerhand zum Büro umfunktioniert haben. Ich bleibe mit Kind, Buntstiften und dem Duplo-Chaos zurück.
Wir gehen raus – frische Luft soll ja Wunder wirken. Aber draußen heißt: Matschsachen, Schuhe anziehen, Diskussion über die richtige Farbe der Gummistiefel. Und dann fällt dem Kind ein, dass es doch lieber drinnen bleiben will. Ich atme tief durch und entscheide: Gut, dann halt Spielteppich und Puzzle.
Dafür entdecken wir ein neues Lieblingsspiel: „Wer kann schneller alle Bauklötze unter dem Sofa verstecken?“ Ich verliere. Deutlich.
Kleine Pausen, große Wirkung
Nach dem Mittagsschlaf (Hurra! Er hat wirklich geschlafen!) schaffe ich es tatsächlich, 45 Minuten konzentriert zu arbeiten. Es ist still. Ich tippe wie im Rausch. In diesen Minuten fühle ich mich wie eine Raketenwissenschaftlerin, die gerade Weltbewegendes leistet. Spoiler: Es war nur ein Projektbericht. Aber egal – Erfolg ist relativ.
Mein Kind wacht auf, gut gelaunt. Wir machen gemeinsam Obstteller, er sortiert die Trauben nach Farben, ich beantworte Mails. Ein bisschen Balance ist plötzlich da. Und es fühlt sich gar nicht so falsch an. Für zehn Minuten läuft alles wie im Bilderbuch. Dann landet eine Banane auf meinem Laptop und der Kleine verkündet stolz, dass er jetzt „Chef spielen“ will.
Die größten Herausforderungen – und wie wir sie (nicht) gelöst haben
- Lärmpegel: Kleinkinder sind laut. Punkt. Noise-Cancelling-Kopfhörer sind Gold wert – aber nur, wenn du nicht gleichzeitig auf dein Kind aufpassen musst.
- Ablenkung: Alles ist spannender als Arbeiten. Sogar das Zuschauen, wie dein Kind einen Legostein minutenlang mit der Stirn balanciert.
- Zeiteinteilung: Du planst 2 Stunden für eine Aufgabe? Rechne mit 5. Mindestens.
- Schlechtes Gewissen: Immer da. Ob gegenüber dem Kind, dem Job oder sich selbst. Und trotzdem: Es geht nicht um Perfektion, sondern ums Weitermachen.
- Pausenloses Denken: Selbst in der „freien Minute“ bist du innerlich auf Alarm – was macht das Kind gerade?
- Konstanten Mangel an beidem: Schlaf und Geduld. Und doch reicht es irgendwie für alle.
Unsere besten Überlebensstrategien
- Schichtsystem light: Kein starres Modell, aber feste Slots, in denen einer arbeitet und der andere übernimmt. Spart Diskussionen.
- To-do-Listen mit maximal drei Punkten: Alles andere ist Bonus.
- Rituale für das Kind: Morgens zusammen frühstücken, Mittagsrunde draußen, abends gemeinsam aufräumen – gibt Struktur.
- Sich Hilfe holen: Oma per Videoanruf, Kita-Kollegen für Spielideen, Freunde zum Jammern.
- Feierabend markieren: Laptop zu, Musik an, einmal durchschnaufen.
- Snack-Notfall-Box: Immer etwas griffbereit haben, was das Kind kurz beschäftigt (und möglichst wenig krümelt).
- Arbeiten mit Perspektive: Heute wenig geschafft? Morgen ist ein neuer Versuch.
Das Lustigste, was uns passiert ist
Einmal hatte mein Partner ein wichtiges Online-Meeting – und unser Sohn hatte sich entschieden, genau in diesem Moment Pirat zu sein. Komplett mit Augenklappe, Holzschwert und lauten „Ahoi!“-Rufen direkt vor der Kamera. Der Chef lachte, das Eis war gebrochen – und mein Partner bekam später sogar ein Lob für seine Gelassenheit.
Ein anderes Mal fanden wir heraus, dass unser Sohn heimlich Videos von sich auf unserem Handy gemacht hatte – in denen er ernsthaft Anweisungen gab: „Und jetzt Mamas Laptop ausmachen. Und dann Kekse holen. Und dann Paw Patrol.“ Klare Prioritäten.
Und dann gab’s da noch den Moment, als unser Sohn sein Stofftier „Bruno der Bär“ als neuen Kollegen einführte und für ihn eine eigene Zoom-ID anlegen wollte. Ich habe lange nicht mehr so gelacht – und ja, Bruno durfte mit in den Call.
Fazit: Es war wild. Es war laut. Es war unser Alltag.
Homeoffice mit Kleinkind ist wie Achterbahnfahren mit verbundenen Augen: du weißt nie, was als Nächstes kommt. Aber irgendwie wirst du kreativer, flexibler – und ja, manchmal auch wütend und müde. Aber du lernst auch, loszulassen. Den Anspruch an Perfektion, an Kontrolle. Und findest dabei neue Wege, gemeinsam zu funktionieren.
Am Ende des Tages zählen nicht die erledigten Aufgaben, sondern die Momente, in denen du beides gleichzeitig warst: Elternteil und Mensch mit Verantwortung im Job. Auch wenn’s manchmal aussah wie ein Duplo-Tornado mit Kaffeeflecken.
Denn wenn dein Kind dir abends mit Marmelade an den Fingern ins Gesicht flüstert: „Mama, du bist die Beste“, dann weißt du, dass all der Trubel irgendwie genau richtig war.