Elternzeit & BabyzeitGeburt, Wochenbett & neue RollenDer Moment, als die Wehen begannen – und alles anders wurde

Der Moment, als die Wehen begannen – und alles anders wurde

Wenn aus Vorfreude, Nestbautrieb und To-do-Listen auf einmal echte Geburtsrealität wird.

Ich dachte, ich bin vorbereitet. Ich dachte, ich wüsste, wie das abläuft. Schließlich hatte ich alle Geburtsberichte im Internet gelesen, war in den Kursen, hatte Apps, Listen, sogar Atemübungen auf meinem Handy. Aber nichts davon konnte mich auf das vorbereiten, was dann kam. Und ich meine nicht nur die Schmerzen oder das Chaos, sondern diese komplette Verschiebung von Realität. Der Moment, in dem das Leben eine neue Richtung einschlägt – und du keine Wahl hast, als mitzugehen.

Die Ruhe vor dem Sturm

Ich erinnere mich noch genau. Es war ein ganz normaler Dienstagmorgen, Spätsommer, die Sonne kam gerade durch die Vorhänge, und ich lag noch halb dösend im Bett. Meine Füße waren geschwollen, mein Rücken schmerzte, aber hey, ich hatte ja noch zwei Wochen bis zum Termin. Genug Zeit, um die Kliniktasche nochmal zu checken, den Wickeltisch neu zu sortieren und mich emotional auf das „große Ereignis“ vorzubereiten.

Ich dachte über Baby-Namen nach. Ich fragte mich, ob wir genug Bodys in Größe 56 haben. Ob der Maxi-Cosi wirklich richtig im Auto sitzt. Ich fühlte mich träge, aber innerlich auf einer Warteschleife. Es war dieser Moment, in dem man weiß: bald ist es soweit. Aber nicht heute. Heute ist noch Ruhe. Ein bisschen dösen, ein bisschen planen, vielleicht noch ein Spaziergang. Ich war entspannt. Fast zu entspannt.

Aber wie das so ist mit großen Ereignissen: Die halten sich selten an den Plan.

„War das jetzt eine Wehe oder nur… na ja, irgendwas?“

Es begann mit einem leichten Ziehen. So, als hätte ich zu viel Wassermelone gegessen. Ich war mir sicher, das war nur Übungswehen-Zeugs. Schließlich hatte mir jeder erzählt, dass „echte Wehen“ sich ganz anders anfühlen würden. Krasser. Schmerzhafter. Deutlicher. Und außerdem hätte ich das doch gemerkt, oder?

Tja. Nö.

Ich versuchte, das Gefühl zu ignorieren. Stand auf. Ging in die Küche. Trank einen Tee. Aber dieses Ziehen kam wieder. Und wieder. Ich legte mich hin. Dann setzte ich mich hin. Dann lief ich im Wohnzimmer auf und ab. Mein Körper fühlte sich auf einmal nicht mehr wie mein eigener an. Irgendwas hatte sich verändert, ohne dass ich genau sagen konnte, was.

Denn was dann kam, war keine plötzliche Film-reife Szene mit Fruchtblase und dramatischem Abgang ins Krankenhaus. Es war eher ein schleichender, verwirrender Prozess. Die Uhr war mein ständiger Begleiter. 12 Minuten. Dann 10. Dann 9. Und ich? Ich tappte barfuß durch die Wohnung, veratmete, googelte „ab wann ins Krankenhaus“ und versuchte meinem Partner zu erklären, dass ich mir nicht sicher bin, ob es losgeht oder ob mein Magen einfach rebelliert.

Ich schrieb einer Freundin: „Kann sein, dass es losgeht. Oder auch nicht. Weiß nicht.“ Sie antwortete: „Mach dir keinen Stress. Wenn es echte Wehen sind, wirst du es merken.“ Spoiler: Hab ich trotzdem nicht sofort.

Zwischen Hoffen, Zweifeln und Warten

Es war dieses komische Zwischenreich. Nicht mehr ganz Schwangerschaft, aber noch nicht Geburt. Die ersten Stunden waren wie eine Mischung aus Aufregung und Verdrängung. Ich duschte, föhnte mir die Haare (warum auch immer), machte sogar noch eine Maschine Wäsche an. Ich wollte vorbereitet sein. Kontrolliert. Herrin der Lage. Spoiler: War ich nicht lange.

Ich kochte sogar noch Nudeln. Mit Tomatensauce. Total verrückt. Ich wollte Energie tanken, weil man das ja so macht. Ich aß zwei Bissen, dann kam die nächste Welle. Ich ließ den Teller stehen. Mein Partner fragte, ob er im Büro Bescheid sagen soll. „Noch nicht“, sagte ich. „Vielleicht ist es ja nur ein Fehlalarm.“

Aber es fühlte sich nicht mehr wie ein Fehlalarm an. Es war ernst. Nicht dramatisch, aber ernst. Und langsam kippte die Stimmung. Aus dem „Vielleicht“ wurde ein „Okay, wir packen das jetzt“. Ich begann, mich zu verabschieden. Vom Alltag. Vom Zuhause. Von der Vorstellung, dass ich alles im Griff habe.

Die Tasche steht, ich nicht mehr

So gegen Mittag wurden die Abstände kürzer. Die Wehen heftiger. Ich lehnte an der Küchenwand, krümmte mich über den Esstisch, zählte mit geschlossenen Augen den Atem. „Wir fahren dann mal los“, sagte mein Partner, als ich die dritte Wehe in zehn Minuten veratmete. „Jo, gute Idee“, presste ich durch die Zähne.

Die Tasche stand längst bereit. Sogar mit Snacks. Aber ich griff sie nicht selbst. Ich konnte nicht mehr. Ich klammerte mich an die Türklinke, veratmete die nächste Wehe und ließ mich dann ins Auto lotsen. Die Fahrt ins Krankenhaus war wie eine Reise durch Raum und Zeit. Ich hörte Musik im Radio, aber verstand kein Wort. Die Ampeln, die Straßen, alles ein Flimmern.

Auf der Fahrt ins Krankenhaus war ich plötzlich ganz woanders. In einer Art Tunnel. Die Welt schrumpfte auf den Rhythmus meiner Wehen zusammen. Es gab nur noch Anspannen, Loslassen, Atmen. Ich erinnere mich an Straßenschilder, an die Stimme meines Partners, aber alles wie durch Watte. Das war es also. Der Moment, in dem man alles vergisst, was man im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hat. Weil der Körper übernimmt. Komplett.

Ich glaube, ich habe sogar versucht zu fluchen. Es kam nur ein kehliges Grollen raus. Mein Partner parkte, brachte mich irgendwie hinein. Ich fühlte mich wie in einem dieser Filme, in denen alles in Zeitlupe läuft. Nur dass ich die Hauptrolle spielte – und keine Pause-Taste hatte.

Krankenhausflure und Kontrollverlust

„Herzlichen Glückwunsch, es geht los!“, sagte die Hebamme. Ihre Stimme war ruhig, ihr Blick erfahren. Ich dagegen fühlte mich wie auf einem fremden Planeten. CTG, Untersuchung, Kreißsaal. Alles rauschte an mir vorbei. Mein Kopf war leer, mein Körper ein einziges Kraftwerk.

Ich hörte Stimmen. Gespräche im Flur. Ein Kind weinte irgendwo. Und ich dachte: Bald ist das mein Kind. Bald bin ich die, die mit Augenringen und Baby auf dem Arm durch diesen Flur läuft. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.

Und genau da, mitten in dieser ersten intensiven Geburtsphase, war der Moment, in dem alles anders wurde.

Nicht nur, weil ich von der Schwangeren zur Gebärenden wurde. Sondern weil ich verstand, dass Geburt nicht planbar ist. Nicht kalkulierbar. Kein Projekt, das man abhaken kann. Sondern etwas Rohes. Gewaltiges. Und zutiefst Ehrliches.

Zwischen den Welten

Die Wehen kamen nun im Zwei-Minuten-Takt. Ich konnte nicht mehr sprechen. Nur noch stöhnen, tönen, irgendwie durchhalten. Mein Partner hielt meine Hand, streichelte meinen Rücken, sprach mir gut zu. Aber er war auf der anderen Seite. Ich war allein mit mir. Mit meinem Schmerz. Meiner Kraft.

Die Minuten dehnten sich. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Manchmal hatte ich das Gefühl, in einer Art Geburtsuniversum zu schweben. Nur mein Atem und ich. Die Hebamme sagte: „Du machst das super.“ Ich glaubte ihr nicht. Ich fühlte mich wie ein Häufchen Elend.

Ich weiß noch, wie ich irgendwann dachte: „Ich kann das nicht.“ Und genau da sagte die Hebamme: „Doch. Du machst das gerade.“

Das war der Wendepunkt. Ich machte es. Nicht perfekt. Nicht leise. Aber mit allem, was ich hatte. Mit Tränen, mit Wut, mit einem Urvertrauen, das ich irgendwo ganz tief ausgegraben habe. Ich kämpfte mich durch jede Wehe wie durch eine Welle. Immer in der Hoffnung: Irgendwann ist Land in Sicht.

Und plötzlich: Baby

Stunden später. Presswehen. Kreischen. Kraftreserven, von denen ich nicht wusste, dass ich sie habe. Und dann: dieses unvergleichliche Gefühl, wenn ein kleiner Mensch deinen Körper verlässt. Die Hebamme legte mir das Baby auf die Brust. Ich heulte. Mein Partner heulte. Und das Baby? Das brabbelte irgendwas, als wollte es sagen: „Na endlich.“

Es war warm. Es war echt. Und es war vorbei. Zumindest dieser Teil. Ich hielt unser Kind im Arm und wusste: Ab jetzt ist nichts mehr wie vorher. Und gleichzeitig war alles gut. Einfach gut. Ich war erschöpft, verwuschelt, blutverschmiert und glücklicher als je zuvor.

Der Moment, der alles verändert

Ich dachte, die Wehen wären einfach nur der Anfang. Ein Teil des Prozesses. Aber in Wahrheit waren sie der Moment, in dem ich mich verändert habe. In dem ich losgelassen habe. Von der Kontrolle. Vom Plan. Und ein Stück weit auch von mir selbst, wie ich vorher war.

Denn wenn die Wehen kommen, wird alles anders. Nicht nur im Körper, sondern auch im Herzen.

Und das ist vielleicht das größte Wunder überhaupt.

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