Kolumnen & KommentareUnsere Meinung zu ErziehungsthemenWarum "perfekte Erziehung" eine Illusion ist

Warum „perfekte Erziehung“ eine Illusion ist

Zwischen Pinterest-Idealen und Schokoflecken auf dem Lieblingsshirt – ein ehrlicher Blick auf das, was Erziehung wirklich bedeutet.

Bevor wir in die Theorie abtauchen, lass mich dir kurz erzählen, wie mein Morgen aussah: Mein Kind hat entschieden, dass Hosen heute ein absolutes No-Go sind. Ich war spät dran, der Kaffee war kalt, und als ich endlich zur Tür raus bin, klebte ein Sticker auf meinem Rücken, auf dem stand: „Ich pupse gerne laut.“ Kein Witz. In solchen Momenten frage ich mich ernsthaft, ob ich irgendwas im Leben im Griff habe – geschweige denn das Thema Erziehung.

Die Sache mit dem Perfektionismus

Du kennst sie bestimmt auch: Diese Instagram-Posts mit farblich sortierten Holzspielzeugen, harmonisch spielenden Geschwistern und einem veganen Bio-Mittagessen, das aussieht wie aus dem Food-Magazin. Und dann scrollst du weiter, siehst dein Wohnzimmer voller Duplo-Steine, ein halb aufgegessenes Toast auf dem Boden und dein Kind, das gerade lautstark protestiert, weil es heute keine Socken anziehen will. Willkommen im echten Leben!

Wir leben in einer Zeit, in der Elternsein irgendwie Hochleistungssport geworden ist. Alles soll perfekt sein: die Bindung, die Ernährung, die Medienzeit, der Wortschatz, die Kita-Wahl, die Hobbys, die Zähne, das Selbstbewusstsein und bitte – ganz wichtig – die Förderung der emotionalen Intelligenz. Aber mal ehrlich: Wer soll das alles schaffen?

Was überhaupt „perfekte Erziehung“ heißen soll

Fangen wir doch mal da an: Was bedeutet eigentlich perfekte Erziehung? Ist es das Kind, das bitte immer „bitte“ und „danke“ sagt, Konflikte gewaltfrei löst, sich jeden Abend auf’s Zähneputzen freut und nie seine Geschwister haut? Oder geht es darum, als Eltern immer liebevoll, geduldig, konsequent und pädagogisch wertvoll zu handeln – selbst wenn man gerade nur 3 Stunden geschlafen hat, die Steuer gemacht werden muss und das Kind sich beim Einkauf im Supermarkt wie Hulk auf Zucker benimmt?

Spoiler: So ein Ideal gibt es nicht. Und falls doch, ist es vermutlich entweder eine Fantasie oder extrem teuer erkauft – mit ständiger Selbstverleugnung, schlechtem Gewissen und dem Dauerstress, allem gerecht zu werden. Perfektion in der Erziehung klingt schön, ist aber meist nur ein hübsch verpackter Drucktopf.

Warum der Wunsch nach Perfektion überhaupt da ist

Der Wunsch, alles richtig zu machen, kommt ja nicht aus dem Nichts. Viele von uns wollen es besser machen als ihre eigenen Eltern. Oder sie wollen ihren Kindern eine möglichst reibungslose Kindheit ermöglichen – ohne Drama, ohne Traumata, ohne das Gefühl, nicht genug zu sein.

Hinzu kommt: Noch nie gab es so viele Ratgeber, Podcasts, Blogs und Studien rund ums Thema Kindererziehung. Es gibt für alles einen Tipp, ein „richtig“ oder „falsch“, einen wissenschaftlich fundierten Weg. Das kann hilfreich sein – oder auch völlig überfordern. Denn was heute gilt, ist morgen vielleicht schon wieder „nicht bindungsorientiert genug“.

Und dann sind da natürlich noch die anderen Eltern. Die, die scheinbar immer alles im Griff haben. Die auf dem Spielplatz pädagogisch sinnvoll moderieren, während du innerlich nur schreist: „Nein, mein Kind, nicht schon wieder die Sandburg zerstören!“

Realität: Jeder Tag ist anders – und das ist okay

Erziehung ist kein Kochrezept. Es gibt keine Garantie, dass etwas immer funktioniert – auch wenn es gestern super geklappt hat. Kinder sind kleine Menschen mit eigenen Gefühlen, Launen, Entwicklungsschüben und Bedürfnissen. Und wir Eltern? Ebenfalls. Manchmal haben wir Geduld wie ein Zen-Mönch, und manchmal wollen wir einfach nur fünf Minuten Ruhe und würden dafür einen Regenbogen-Einhorn-Deal mit dem Teufel eingehen.

An einem Tag klappt das Einschlafritual wie im Lehrbuch – am nächsten Abend ist es eine Mischung aus Drama, Verhandlung und innerlichem Countdown bis zur Netflix-Zeit. Und das ist nicht dein Versagen. Das ist Leben.

Kinder brauchen keine perfekten Eltern – sondern echte

Wenn wir ehrlich sind, erinnern wir uns als Erwachsene doch auch nicht an die „pädagogisch perfekten“ Momente unserer Kindheit, sondern an das Gefühl, wie es war, gesehen, gehört, geliebt zu werden. An das Lachen beim gemeinsamen Spielen. An den Trost, wenn etwas weh tat. An die Erleichterung, wenn Mama oder Papa zugegeben haben: „Sorry, ich war gerade echt ungerecht.“

Kinder brauchen keine Eltern, die immer alles richtig machen. Sie brauchen Eltern, die sich bemühen. Die bereit sind, Fehler zuzugeben. Die authentisch sind. Und die ihnen zeigen, dass man wachsen darf – zusammen.

Was „gute“ Erziehung ausmacht – und warum das reicht

Statt also diesem schillernden, aber unerreichbaren Bild von Perfektion nachzujagen, könnten wir uns doch auf das konzentrieren, was wirklich zählt. Zum Beispiel:

  • Liebe, die spürbar ist, auch wenn nicht jeder Tag perfekt läuft
  • Grenzen, die Orientierung geben – nicht weil wir Macht ausüben wollen, sondern weil Kinder Sicherheit brauchen

Und ja, auch der Satz „Weil ich es so sage“ darf mal fallen – wenn er nicht der Standard ist. Manchmal müssen Kinder lernen, dass Erwachsene auch mal entscheiden dürfen, ohne dass eine Diskussionsrunde folgt. Und das ist kein Erziehungs-Fail. Das ist Alltag.

Was mir geholfen hat, mit dem Perfektionsdruck aufzuräumen

Ich erinnere mich noch gut an einen Morgen, an dem alles schieflief. Kind krank, ich müde, das Müsli auf dem Teppich, und ich hab völlig die Nerven verloren. Geschrien, geweint, mich mies gefühlt. Und später kam mein Kind, umarmte mich einfach so. Kein Groll, keine Bewertung. Nur Nähe. In dem Moment wurde mir klar: Mein Kind braucht keine Super-Mama. Es braucht mich. Mit meinen Ecken und Kanten.

Seitdem versuche ich, mich an kleinen Dingen zu orientieren. Ich frage mich: Haben wir heute miteinander gelacht? Haben wir einander zugehört? Gab es einen Moment der Verbindung? Wenn ja, dann war es ein guter Tag.

Die Sache mit den Vergleichen – lass es einfach

Perfektionismus lebt auch davon, dass wir ständig vergleichen. Was machen andere Eltern? Was sagen die Erzieherinnen? Wie macht es die Kita-Freundin? Und der Typ aus dem Papa-Blog? Aber jeder Mensch, jedes Kind, jede Familie ist anders. Was bei dem einen funktioniert, kann beim anderen komplett nach hinten losgehen.

Vergleiche führen selten zu etwas Gutem. Entweder fühlen wir uns mies, weil wir nicht mithalten können – oder überlegen, was andere wohl falsch machen. Beides bringt nichts.

Unsere Kinder leben nicht in einer perfekten Welt – das sollten wir ihnen auch nicht vorspielen

Wenn wir immer nur so tun, als sei alles perfekt, vermitteln wir unseren Kindern: Nur wenn du alles richtig machst, bist du gut genug. Aber das ist eine verdammt hohe Latte.

Stattdessen könnten wir ihnen zeigen: Es ist okay, zu scheitern. Es ist okay, Fehler zu machen. Und es ist mutig, weiterzumachen. Das ist doch viel wertvoller, oder?

Fazit: Schluss mit dem perfekten Bullshit – es reicht, gut zu sein

Perfekte Erziehung ist ein Mythos. Eine Illusion, die vor allem eines bringt: Druck, Schuldgefühle und das Gefühl, nie genug zu sein. Aber du bist genug. Mit deinen Fehlern, deinen Unsicherheiten, deiner Liebe, deinem Humor und deinem Versuch, dein Bestes zu geben – jeden Tag neu.

Erziehung darf wild sein. Laut. Chaotisch. Und manchmal auch richtig schräg. Wichtig ist nicht, wie es von außen aussieht, sondern wie es sich anfühlt – für dich und dein Kind.

Wenn du heute nicht perfekt warst: Willkommen im Club. Morgen wird’s vielleicht besser. Oder auch nicht. Hauptsache, du bleibst du. Und dein Kind weiß: Ich bin geliebt. So wie ich bin.

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